Rhodos kredenzt Wohlgenüsse aller Art


Elafos und Elafina blinzeln im Abendlicht, ehe die glutrote Sonne im Meer versinkt. Denn Hirsch und Hirschkuh, die rhodischen Wappentiere, wachen an der Einfahrt über dem Mandraki-Hafen, wo sich im Sommer die Boote dicht an dicht drängen.
Tipps für Reisen
Auf der Landkarte sieht Rhodos aus wie ein Delfin, der zwischen der Türkei und Kreta in der Ägäis schwimmt. Drei Faktoren, das Klima, der fruchtbare Boden und die geographische Lage, haben der Insel durch die Jahrtausende Reichtum und – natürlich – eine bewegte Geschichte beschert. Wissenschaftlich gesehen ist Rhodos ein Teil der Inselbrücke, die den Pelepones über Kreta und Karpathos mit Kleinasien verbindet. Mit einer Länge von 78 km und einer Breite von maximal 35 km ist sie die größte Insel in der Gruppe des Dodekanes. Und nach Kreta, Euböa und Lesbos die viertgrößte griechische Insel.
Knapp 300 Sonnentage locken alljährlich eine Vielzahl von Bade- und Sonnenhungrigen, von Kultur- und Unterhaltungssuchenden nach Rhodos, der Insel des Helios, auch als “Braut der Sonne” bekannt. Das größte Eiland des Dodekanes, das wie ein Delfin zwischen der Türkei und Kreta in der Ägäis schwimmt, ist in jeder Hinsicht bestens auf diesen Ansturm vorbereitet.
Ob am Tag oder nachts: In den Gassen und auf den Plätzen von Rhodos-Stadt, am Nordzipfel der Insel, einem Schmelztiegel aus Antike, Mittelalter und Moderne, ist die Hölle los. Menschenmassen schlängeln sich auf dem Kopfsteinpflaster durch die gut erhaltene, mittelalterliche Altstadt, die von einem fünf Kilometer langen, dicken Mauerring umschlossen ist und vom Großmeisterpalast überragt wird. Auch draußen in der Neustadt schwappt das Leben in den zahlreichen Restaurants, Bars und Diskotheken über. So richtig genießen kann man die Schönheiten der Stadt mit ihren drei Hafenbecken allerdings besser außerhalb der Saison, vor Juni oder wieder ab Mitte September.
Touristentempel sind mit Vorsicht zu genießen
Will man einen kulinarischen Streifzug durch die Inselwelt machen und sich nicht bedingungslos dem Zufall ausliefern, bedarf es schon einer gewissen Erfahrung. Denn schier endlos ist die farbenprächtige Animation der Leuchtreklamenschilder unterschiedlichster Lokale vor allem im Norden und Osten der Insel, die mit dreigängigen, preisgünstigen Touristenmenüs um die Gunst der Urlauber buhlen. Wer unbesehen auf diese Lockvögel hereinfällt, bekommt von Piccata Milanese über Spaghetti Bolognese, Huhn auf Indische Art bis hin zum Schweinebraten mit Krautknödeln und Wiener Schnitzel alles serviert, nur selten etwas von dem, was sich griechische Küche nennt.
Bauernsalat auf Griechisch: Choriatiki
Mit etwas Glück bekamen wir in diesen Touristentempeln wenigstens brauchbaren Choriatiki gereicht, den traditionellen griechischen Bauernsalat mit Paprika, Fleischtomaten, Gurken, Zwiebeln, Oliven und einer Scheibe Schafskäse obendrauf, angemacht mit dickflüssigem Olivenöl und frischen Kräutern. Denn mit Choriatiki oder Meze, einer Variation von Vorspeisen, dazu einem Glas Weißwein oder Ouzo als Aperitif, sollte ein gemütliches traditionelles Mahl eigentlich beginnen. In der Regel fanden wir auf Rhodos die traditionelle Küche ganz einfach dort, wo sich die Einheimischen zum Essen treffen, also in der “zweiten Reihe”, abseits der Touristenströme.
Speisen mit Genuss
Natürlich sind auf Rhodos auch einige Gastronomen Zuhause, die sich einer gehobenen griechischen Küche mit einem höheren Preis verschrieben haben. Einer von ihnen ist Harry Keriatsiotis. Nach einem Aperitif in der stimmungsvollen Piano-Bar “Hamam”, die in einem ehemaligen türkischen Bad untergebracht ist, fahren wir von der Altstadt in sein Lokal “Palia Historia” in der Neustadt. 1993 kürte der Gourmetführer “Qualiguide” dieses Restaurant zu einer der zehn besten Tavernen Griechenlands.
Die beste Werbung für sein Restaurant ist Keriatsiotis selbst. Seine Brille sitzt keck auf der Nasenspitze. Breite, rote Hosenträger spannen sich über seinen kugeligen Bauch. Der Mann strahlt eine unglaubliche Gemütlichkeit aus. Genauso wie sein Lokal. Eigentlich ist er Schauspieler. “Eines Tages habe ich gemerkt, dass man Menschen mit etwas ganz anderem wesentlich mehr begeistern kann als mit der Kunst, nämlich mit gutem Essen.” So schwenkte der Hobbykoch aus Leidenschaft um und eröffnete 1990 seine “Palia Historia” (zu deutsch: alte Geschichten) in einem 70 Jahre alten Haus in Rhodos.
Was Hausfrauen langweilt oder überfordert
“Sehr gerne koche ich Sachen, die Hausfrauen entweder langweilen oder überfordern”, erklärt Keratsiotis mit einem Schmunzeln. Spaghetti mit Lobster zum Beispiel oder Schmetterlingsnudeln mit Lachs, Crème fraîche und Basilikum, gefüllte Zucchini mit Zitronensoße oder Shrimps mit Ouzo und Orangensoße. Ausgezeichnet wurde seine Küche von dem Gourmetführer für seine Spezialität “Tenderloin vom Steak”. “Kali orexi” – Guten Appetit…
Besonders stolz ist der Gastronom aber auf sein Knoblauchbrot. “Da habe ich einfach eine Nase gehabt”, sagt er und reicht zum Beweis einen Teller mit seiner Kreation herüber, die sich schon optisch von der landesüblichen Zwischenmahlzeit abhebt. Das geschmackliche Geheimnis liegt im Käse. “Aber mehr wird nicht verraten.” Harry hüllt sich tatsächlich in Schweigen und tischt die nächste Köstlichkeit auf: “Saganaki” – ein spezieller Käse, der paniert und in heißem Fett gebacken sowie mit Zitrone gewürzt wird und neugierig macht auf ein weiteres der 90 verschiedenen Gerichte, die täglich frisch zubereitet werden.
Griechischer Wein zu griechischer Musik
Szenenwechsel. Richtung Ostküste, kurz vor der Touristenhochburg Faliraki, wo sich tagsüber die Sonnenhungrigen in den zahlreichen, großzügig angelegten Hotelanlagen und an dem sechs Kilometer langen Sandstrand tummeln und abends die örtliche Vergnügungsmeile unsicher machen, führen, ein paar hundert Meter vor dem Ortseingang, Michalis und Anna Vagianos seit vielen Jahren das “Restaurant Sotiris”, eine schlichte Taverne direkt am Strand. Die Hausmannskost, natürlich selbst zubereitet, ist schmackhaft und griechisch und wird mit den rhodischen Weinen der lokalen Hersteller “C.A.I.R” oder “Emery” quasi als Zubrot gereicht. Denn Hauptattraktion jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abend sind Michalis und Anna selbst, wenn sie ab 22 Uhr mit ihrer griechischen Musik die meist einheimischen Gäste zum Tanzen eines Sirtos animieren.
Das Bilderbuchdorf Lindos
Getanzt und gegessen wird auch in Lindos, dem Bilderbuchdorf der Insel Rhodos, an der Ostküste knapp 60 Kilometer von Rhodos-Stadt entfernt. Rund 1150 Menschen bewohnen dieses autofreie Fleckchen Erde, das neben Kamiros und Ialysos an der Westküste zu den Gründungsstädten des Eilandes gehört. Da Lindos schon seit vielen Jahren unter Denkmalschutz steht, konnte das Dorf seinen ursprünglichen Charakter bewahren. Kein gigantischer Hotelkomplex und kein moderner Bau stören das gewachsene Ensemble, das weißgetünchte, flachdachige Steinhäuser und enge Gassen kennzeichnen. Unten in der Bucht ruht das Meer. Hoch über dem Ort thronen die Reste der antiken Akropolis und der mittelalterlichen Johanniter-Burg, zu denen sich fußkranke Touristen von einem Esel hinauftragen lassen können.
In Lindos finden sich noch Schmuckstücke aus einer ruhmreichen Vegangenheit: alte Kapitänshäuser, die im 16. und 17. Jahrhundert entstanden sind, als das Dorf während der türkischen Besatzungszeit durch den Seehandel zu beträchtlichem Wohlstand kam. Großen Zuspruch finden diese alten Kapitänshäuser heute wieder (nicht nur) in Künstlerkreisen. Musiker der Popgruppe Pink Floyd oder der Lindenstraßen-Autor Hans W. Geißendörfer haben sich hier auf der hellen Seite der Akropolis niedergelassen.
Traditionelle Esskultur
“Gestern war Hans da”, begrüßt uns denn auch Michalis Mavrikos in seiner Taverne am Freiheitsplatz. Der Drehbuchautor Hans W. Geißendörfer zählt zu den Stammgästen des “Restaurants Mavrikos”, das seit 1933 in Familienbesitz und eine gute Adresse für gute, typisch griechische Küche und gehobene Ansprüche ist. Und das soll es auch bleiben. Geschäftsführer Michalis Mavrikos setzt auch für die Zukunft auf sein Erfolgsrezept Qualität, selbst wenn ihn die Einkaufspreise für Fisch manchmal schwindlig werden lassen. Sein Lammfleisch kauft er täglich vom Metzger.
Die Moussaka stellt Koch und Bruder Dimitris Schicht für Schicht von Hand her. Michalis wird den Teufel tun, griechische Fast-Food-Gerichte auf seine Speisekarte zu nehmen, wie es viele seiner Kollegen tun. “Die schieben eine tiefgefrorene Moussaka einfach in die Mikrowelle.” Er wolle auch keine Touristenmenüs für ein paar Drachmen anbieten, sagt der Gastwirt, der mit Schrecken den Untergang der traditionellen Esskultur nahen sieht. Und erhebt sein Glas auf neue alte Zeiten: “Jammas!” Prost.